Der Junge war sechs und hinter ihm schien die Sonne. Die Sonne schien so hell, dass alle Lichter und alle hellen Stellen um ihn herum überbelichtet waren und weiß. Der Junge war sechs und die Sonne schien wie in einem überbelichteten Film, die Kamera direkt gegen das Licht, aber hier was das anders: Der Junge war sechs und die Sonne stand hinter ihm und war heiß und der Junge war sechs und schaute nicht direkt gegen das Licht, er schaute mit dem Licht, und vor ihm das Helle war weiß und das Dunkle war schwarz.
Links der Balkon vom Erdgeschoß, rechts der Hügel und die Wiese und dazwischen der Junge war sechs und stand auf den kleinen quadratischen Steinen, die vor ihm einen Weg markierten in anderen Abständen als denen seiner Schritte und um ihn herum überbelichtete die Sonne die Welt.
Der Junge war sechs und sein Schatten fiel vor ihm auf den Boden das Gras und die Steine, und der Schatten war schwarz wie der Schatten der Grashalme wie der Schatten der flachen Steinplatten auf denen er stand und der Junge war sechs und er wollte so sein wie sein Bruder, sonst war es nicht mehr auszuhalten. Der Junge war sechs und jetzt und hier war die Zeit, etwas zu tun und er würde die Sache nun selbst in die Hand nehmen.
Der Junge war sechs und er stand in der überbelichteten Welt und vor ihm lagen alle Schatten und hinter ihm brannte die Sonne in seinen Nacken und es war heiß und hell und der Schweiß rann aus seinen Haaren seinen Hals herab und seine Brust wurde feucht und sein T-Shirt färbte sich dunkel. Und der Junge war sechs und er war allein zwischen Wiese und Balkon und er ging und er ging und jetzt begann er die Sache selbst in die Hand zu nehmen und zum ersten Mal betrachtete er aufmerksam seine Hand, die einen dunklen Schatten auf das Gras legte, er betrachtete seine Finger und zum ersten Mal nahm er einen Finger in den Mund und er nagte an seinem Finger, an seinem Fingernagel, er nagte und biß und in der überbelichteten Welt riß der Junge war sechs einen Nagel vom Finger und der Schmerz kam wie ein Blitz zusammen mit der Überraschung: wie leicht das geht und von jetzt an würde alles anders und nichts mehr so dunkel und schlimm und alles so hell und so gut wann immer er will.
Interessante Form und schockierender plot (Finger wieder heile?). Auszug aus einem werdenden Roman (Kapitel 01: Der Junge war vier, Kapitel 02: Der Junge war fünf, (…) Kapitel 46: Der Junge war 46)?
Der alttestamentarische Tonfall gefällt mir gut, auch wenn ich nicht recht glauben mag, dass einem Sechsjährigen sein Sechsjährigsein permanent bewusst ist. Das ergibt aber sowieso nur dann einen Sinn, wenn du die personale Erzählsituation durchhieltest; jedoch: „überbelichtet waren (…) die Sonne schien wie in einem überbelichteten Film, die Kamera direkt gegen das Licht“ ist keine altersgemäße Beobachtung, sondern stammt vom fotophilen Autor P. Alles auktoriale Weltwissen eliminieren und den Rest so fortführen bitteschön!
Wird gemacht, Chef!
Es sind eigentlich nur zwei (drei?) Wechsel in eine personale Erzählsituation drin: Der Rest ist Erinnerung, stellt durchdrungene, wiederholte und veränderte Bilder dar. Ich versuchs nochmal so und so, eine deutliche Trennung zwischen den Haltungen vielleicht, es ist ist ja eh alles ein ewiges Machen und Verwerfen und Variieren. Stimme suchen, Stimme finden.
Merci für die freundlichen Hinweise, I appreciate that. Mucho!
besazo!