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November

Dies ist das mieseste von allen miesen Wettern
Es legt den Finger in die Sommerende-Wunde
Eiskalte Katzen regnet es zuhauf und Hunde
Die Bäume schmeissen schon mit nassen Blättern

Kaum sag ichs, scheint schon wieder Sonne in die Runde
Die goldensten Novembernachmittage schmettern
Sie sind die liebsten mir von allen Herbstschmerz-Rettern
Bereiten mir die feinste Sonntagskaffeestunde

Ich will mich also nicht bei niemandem beschweren
So kann es bleiben, wechselnd nass, beständig schön
Herbsttäler will ich lobend wie ein Rohrspatz queren

Solange Wandel wandelt, grau und farbig fotogen
Nichts nicht und niemand nie will ich entbehren
Mein Lieblingsmonat ist eindeutig schizophren

Schöne Werbung – gute Werbung!

Gestern in der Provinz:
Im Kuhstall kam ein Buch zur Welt, wurde präsentiert und signiert – und für gut befunden!

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Der großartige Rüdiger Tillmann hat ca. 100 Cartoons getuscht – ich habe etwa 20 Gedichte hinzugefügt, die nicht groß stören – der Sauerländer WOLL-Verlag ließ alles zwischen Pappendeckel drucken – und nun ist es da: „Kuhgeflüster – Geschichten und Gedichte aus dem Sauerland“

Man sollte es kaufen, solange es noch kuhwarm ist! Im lokalen Buchhandel, oder direkt hier:

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Buchfoto: WOLL-Verlag

Zum aktuellen Stand der Sprachkritik

Es reicht’s nicht länger, „homogen“
und „übereinstimmend“ zu sein.
Es kann nicht „deckungsgleich“ allein
und „synonym“ so weitergehn.

Auch „einförmig“ ist uns zu schwach.
„Ununterscheidbar“ reicht nicht aus.
bei „einheitlich“ nimmt man Reißaus,
„unterschiedslos“ ist Weh und Ach.

Es müssen neue Worte her.
Die Sprache wird jetzt umgevolkt.
Wir haben uns flink, zäh, hart, schwer

und sinnhaft maximal umwolkt,
das Wort zum endlich-wieder-wer
aus Erbfeinds Achsel rausgepolkt:

identitär.

Im Café Herbst

Herren sprechen still in Apparate

Opernhäuser neigen zum Ermüden
Vögel sammeln sich bereits nach Süden
Damen lächeln still eine Fermate

Hundeleinen sichern schlaffe Rüden
Zuckerstreuer planen Attentate
Tauben tanzen eine Bachkantate
Fremde nuscheln lautstark Platitüden


Sonnenreste stürzen auf die Plätze
Stühle sind im Stapel halb verräumt
Ungeboben bleiben nun die Schätze

Säumnisstunden bleiben jetzt versäumt
Wunder gibts nur noch als Kaffeesätze
Ach, hätte ich doch alles nur geträumt

*
(Diese Zeilen verdanken einem Anlass
und einem Bilde sich.)

Abend, Dämmerung

Und wer seid ihr?

Zwei Krähen sind wir, wunderschön,
könn’ ungeküsst nach Hause gehn.
Das sind wir!

Ach so!
Ich dacht’, ich wäret Direktoren,
die sich am Abend selbstverloren
noch zwei, drei Kotletts blutig schmoren,
um dann wie kreischende Traktoren
den Schimmeln alle beide Sporen
hart in die Flanken reinzubohren
und rasch sogleich wie neugeboren
hoch in den Lüften zu rumoren.
– Das, dachte ich, seid Ihr.

Nein, tut uns leid, das sind wir nicht.
Schau: Wir sind ungeküsste Krähen.
Das kann man doch im Dämmerlicht
auch eigentlich gut sehen.

Ach so. Alles klar.
Nichts für ungut.

Im Sommer

Die Glut liegt waschbetonschwer auf Rabatten
Und Hitze greift das Jahr ganz ohne Bitten
Die Weiden schwitzen satt wie pralle Quitten
der Weltgeist droht in Wärme zu ermatten

Wer kann, lässt sich in kühler Gruft bestatten
Denn Geistes Schlaffheit lässt sich nicht lang bitten
Auf heißem Hengst kommt Schwüle angeritten
Hell ist das Licht und dunkel sind die Schatten

Darin, in Gruppen unter schweren Bäumen
Verweilen schläfrig matt, wie große Ziegen,
Zwölf Kühe, die von kalter Frische träumen

Sie tun, was man bei Hitze tun soll: liegen
Und könnten fast den Sommer so versäumen
Wär da nicht das Gebrumm von zwölfmal tausendutzend Fliegen


Vorankündigung:
Im Oktober wird im WOLL-Verlag ein Buch mit Cartoons von Rüdiger Tillmann erscheinen. Es trägt den prachtvollen Titel Kuhgeflüster. Ich steuere ein paar Gedichte bei – so zum Beispiel dieses Sommer-Gedicht. Watch out – there is more to come!

Der Sommer. Ein Loch.

Sommer ist von innen hohl
Wetter wettert kapriol
Mittendrin und brumm & dumm
steht das Sommerloch herum

Spannung ist wie weggefegt
Wichtiges ist abgelegt
Journalistenblütezeit
Handtuchthemen weit und breit

Müde scheint ein jeder Held
Schlaftablettenhaft die Welt
Selbst in Südamerika
langweilt sich Olympia

Dumme Jugend sowieso
schlapptrabt Pokémon-to-go
Trägheit zieht die Stiefel an
Merkel wandert mit dem Mann

Langeweile, Ach und Weh
schafft wie stets die SPD
Kanzlerhaft erleidet sie
Kandidaten-Allergie

Leer und trostlos noch und noch
Flügellahmes Sommerloch
Träg und monoton und viel
Fehlt bloß noch ein Krokodil

Die neuen Sommerhelden sind da!

Die Rocker wechseln kreidebleich die Seite,
die Drogendealer fliehen aus der Stadt.
Selbst Kirmesboxer suchen nachts das Weite,
wenn wer die Helden hergerufen hat.

Der Mafiaclan lässt alles stehn und liegen.
Das Pflaster wird für Hooligans zu heiß.
Für Nazis gibt es nichts mehr endzusiegen,
geraten sie in ihren Wirkungskreis.

Wo selbst Bruce Willis kneift und leise weint,
weil ihn die Schurken dieser Welt verhöhnen;
wo auch ein Gott sich gänzlich hilflos meint,
da retten uns die Starken und die Schönen:

Denn wem ist keine Kampfkunst fremd?
Dem Leptosom im Freizeithemd.

Wer steht als Fels in der Randale?
Der Studienrat in der Sandale.

Wer kann den Schurken Schmerz entlocken?
Der Pensionär in Tennissocken.

Wer ist ein Held, wenn Schlachten tosen?
Der Schlacks in Siebenachtelhosen.

Das Böse hat nicht mehr zu melden
wenn sie erscheinen: Sommerhelden!

PS:
Und Jungfraun vor dem Drachen retten
kann nur der Herr in Adiletten.

Vorhersage

Der Himmel indigot sich drohend tief ins Komatöse.
Wieso denn bloß? Jetzt eben opalierte er doch noch.
Bunt und perlmutten prangte er – nun dieses tiefe Loch.
Mahnt er uns an die Welt, die dünkelnde und ruinöse?

Zeigt Gott mit rauhem Lachen derart bös uns unser Joch?
Krampft deshalb dröhnend harsch uns kotzig das Gekröse?
Sinkt darum in der Wirtschaft steil die Summe der Erlöse?
Hilft überhaupt noch Wein und Weib jetzt, hilft noch Trank und Koch?

Schon rast ein Bimmelbammel scheppernd von den Türmen.
Schon schweigen zitternd alle Piepsevögel still.
Schon überschlägt das Wetter sich zu harschen Stürmen.

Schon hochskaliert ein Heul und Brumm zum Overkill.
Schon wütet es mit Hagel und Gewürmen.
Dann wieder Sonne, alles blau und sanft und still –

So wie der Mai nun auch der Juni: legitimer Erbe des April.

Güldener Greis

Heute früh, ab kurz nach acht,
ist in Leipzig Völkerschlacht.

Nein, bloß Spaß und gar nicht wahr:
Wir feiern heut den Jubilar!
Der niemals je sich hat geschont,
der schon in Ost und West gewohnt,

der fleißig, tapfer, immer heiter,
der frisch war, offen und so weiter
und maßvoll. Schaut, er braucht nicht viel,
nicht Spaß und Freud, nicht Tanz und Spiel.

Auch könnt nie wer vernünft’ger sein:
Er trinkt pro Tag bloß ein Glas Wein,
isst eine Scheibe Esspapier
als Freud- und Lebenselexier

und schläft zehn Stunden jeden Tag
in seinem goldnen Sarkophag.
Nie trieb er eine Stunde Sport,
und doch: Er ist der schlankste dort,

wo heute er Geburtstag feiert
und sich als Greis vor uns entschleiert.
Er zeigt uns Menschen wohlgestalt:
Wer derart lebt, wird ganz schön alt.

Nur Gott allein zeigt sich verwundert:
Der Katholikentag wird hundert.