Herren, die im Zug mir gegenüber beim Lesen so aussehen, als würden sie schlafen, sollen verdammt sein auf ewig und auch soll die Frucht ihres Leibes verdammt sein auf ewig, denn sie erschrecken mich jedesmal fast zu Tode, wenn sie plötzlich und unvermittelt ihre Zeitung umblättern. Hingegen Damen, die beim Schlafen so aussehen als würden sie lesen, die will ich gern lobpreisen und nach Kräften besingen – ja, solcherart Damen können mich sogar gern mal anrufen, ich rücke in meinem Bett mit Freude ein klein wenig zur Seite.
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Prêt-à-porter
Draußen lärmen Katholiken.
Prozession nimmt ihren Lauf.
Frühling zieht sie sanft in seinen Bann.
Der Mann trägt Kreuz im Frühjahr, wenn er kann.
Er stolpert. Und steht wieder auf.
Das gibt beachtliche Kritiken.
Ratschläge
„5 Jahre Knast ist immer Scheisse!“ Das ist natürlich ein Satz, der meine Aufmerksamkeit bekommt. Ich sehe mich um: Vier Herren, allesamt etwas abgerissen, sitzen da am Nebentisch beim Bier zusammen und erzählen sich was. Zwei von ihnen, darunter der Wortführer, sind ausnehmend wollig weißbehaart; sie tragen feinste Perückenkunst aus einer Zeit, als man für Hildegard Knefs Neuerscheinungen auf Vinyl noch vor dem Kaufmannsladen Schlange stand. Ein dritter tränt mit strahlendstem Blick summend vor sich hin; ausgestattet mit einer eindrucksvollen Falsett-Stimme, für die Landadelige im barocken England sicherlich getötet hätten. Der vierte, ein eher unscheinbares schmales Kerlchen, ist für die Pfand-Laufdienste zwischen ihrem McDonalds-Tisch und dem Bahnhofskiosk zuständig. In lockerer Folge spulen die Herren ihre Geschichten ab – vom doppelten Genickbruck des Gegners dank jahrelangem Kampfkunsttraining, von verschobenen Boxkämpfen in Thailand, von wie-ich-in-Brasilien-vier-Straßenräuber-in-die-Flucht-geschlagen-habe, und natürlich vom ewig blondgelockten Weib, dass „die pure Sünde, glaubste?!“ war. Als der Wortführer die gleichzeitig stattfindenden Preisverhandlungen über ein raffiniertes Teppichmesser mit den Worten „Das ist besser wie neu!“ belebt, um sogleich ansatzlos einen weiteren Erzählstrang zu beginnen „Hör mal zu. Ich sag dir, wenn du dir Koks auf die Eichel streust, …“ , muss ich leider, leider zum Zug, greife meine Reisetasche und lasse dem Unscheinbaren der Viererbande meine Pfandflasche stehen.
Für ein hier nicht anwesendes Bild
Voll Spannung knistert hier die Luft.
Ganz Altdorf hält den Atem an.
Das Herz im Hals schlägt Frau und Mann.
Man sieht den Bub schon in der Gruft.
Der Vater legt die Armbrust an.
Kurz hat er noch das Kind geknufft,
dann zielt er zwinkernd ausgebufft.
Dem Filius droht der Sensenmann.
Dies ist sein Ende, zweifelsfrei.
So löst sich die Situation:
ein Mann, ein Wort – ein Schuss, ein Schrei.
Dann Stille. Dies ist Vaters Lohn:
Des Gesslers Spaß ist rasch vorbei
und – Apfel lebt, fort ist der Sohn.
Wunderkind
Als Werner mit 9 Jahren bereits mehr als passabel Trompete spielen konnte, kam es zu einer Begegnung, die sein Leben verändern sollte: Seine Eltern ließen ihn einem Musikmanager vorspielen. Der war vom Fleck weg begeistert und man begann umgehend aussichtsreiche Verhandlungen. Auf die Frage, wie denn die Eltern den notwendigen Geldbetrag zur Vorfinanzierung der ersten Plattenaufnahme und damit dem Start der als fraglos sicher geltenden Karriere ihres Sohnes beizubringen gedachten, hatten sie nach einem kurzen Moment der Ratlosigkeit die rettende Idee: Sie verkauften Werners Trompete. Er ist dann später Installateur geworden.
Glück im Unglück
Nachdem neulich in Paris bei einem groß angelegten Einbruch der berühmte Urmeter aus seinem Stahlschrank entwendet wurde (aufgeschweißt) und dabei auch die komplett unberühmte Urminute Schaden genommen hatte (runtergefallen), entdeckte man glücklicherweise in den Vernehmungsprotokollen der befragten Wachleute die als verschollen geglaubte Schrecksekunde (ca. 1/3 Urminute) sowie zwischen den Zeilen die mysteriöse, der Wissenschaft bislang nur theoretisch bekannte, Ejaculatio praecox (ca. 1/4 Schrecksekunde).
Nebenwirkungen
Zu meiner Geschichte, wie ich vor einigen Jahren in Venedig mal 20 Minuten auf einem Vaporetto direkt neben der wunderschönsten Schauspielerin Cate Blanchett gestanden habe, und wie sie mich dabei angelächelt hat, als sie mir kurz auf den Schuh getreten war, und wie zart und leicht rauh auch ihre Stimme klang, als sie »Sorry!« sagte – zu dieser Geschichte habe ich mittlerweile jene kritische Menge an ungläubigen Rückfragen bekommen, daß ich das Erlebte manchmal selbst schon kaum mehr wahrhaben mag und mich hin und wieder einen Aufschneider und Gernegroß schelte. Dieses Gefühl des Unglaubens verfliegt immer erst dann, wenn ich, wie zuletzt am vergangenen Sonntag, morgens aufwache und als erstes höre: »Erzähl mir doch bitte noch mal, wie wir uns damals in Venedig kennengelernt haben, Liebling.«
Großer Auftritt
Der Frühling stolpert über die eigenen Füße. Der Sommer weiß nicht, wohin mit den Armen. Der Herbst ist ein dünner Lulatsch mit Pickeln. Dem Winter gelingt nichts, kein einziger Hopser. Merke: Du sollst mit deinem VHS-Kurs keine Choreographie zu den »Vier Jahreszeiten« aufführen.
Für ein hier nicht anwesendes Bild
Da war schon immer der Verdacht,
wenn ich darüber nachgedacht
und sinnend Fotos sah, Porträts –
und der Verdacht ging sinngemäß:
Es ähnelten schon lange Jahre
sich Fritz und Kuh betreffs der Haare.
Immer im Winter
Immer falsch getrunken
alles durcheinander
immer schwer gelitten
Kopf aus Palisander
Immer falsch gegessen
alles durcheinander
quer durch alle Tierparks
Panda, Huhn und Zander
Immer falsch gestritten
laut und durcheinander
immer in Gesellschaft
selten miteinander
Immer falsch gelegen
völlig durcheinander
Wirbel aus den Fugen
Bandscheiben-Mäander
Immer falsch gevögelt
alles durcheinander
immer wie Kaninchen
nie wie Salamander
Immer falsches Workout
alles durcheinander
nie für die Synapsen
immer bloß Expander