Sieh’s mal so!
Dein Körper gleicht Venedig.
Alle schönen Dinge liegen nah beieinander.
Nu’ denn
Ich nehm’ jetzt mein Tablettchen,
Dann leg’ ich mich ins Bettchen.
Ich dreh’ noch kurz am Rädchen.
dann schlaf’ ich wie ein Frettchen.
Wettchen?
俳句, dt. lustiger Vers
Gestern war noch Schnee.
Heute ist er komplett weg-
geschmolzen. Und Du.
On the track
Eines der schönsten Dinge in seinem Leben: in einem fahrenden Zug sitzen und aus dem Fenster schauen. Er mag die Ästhetik der Elektrifizierung, all die Masten und Leitungen, die Leuchten und Signale, das Strippengewirr, die ihm nichtssagenden Schilder und Nummern, die Gleise und Leuchten, und dazwischen in aufgelassenen Teilstücken die stets jungen Pioniere: Birken und Gräser in immer frischem Grün. Hier im Bordrestaurant spürt er die grundsätzliche Durchdringbarkeit der Welt. Zumindest für ihn. Nicht für die in seinem Kopf sich stetig fortschreibende Liste der kompletten Volldioten, die hier neben ihm reisen.
Panne in den Städten
In Restaurationen #03
Ich verstehe die drei Leute am Nebentisch nicht. Sie sprechen ein Gebrabbel, einen Code, einen sprachlich dermaßenen Brei, dem ich einfach nicht vertraut bin. Das sind doch keine Sätze, diese Worte. Unterbrochen von Kieksern und Pausen und allgemeinem Rhabarbern schlendern sie wohl von einer Unverbindlichkeit zur nächsten: das Wetter, der Ballack, das Essen, … soviel kann ich noch herausfiltern. Betont leise wird herumgemurmelt, die Lautstärke reicht aus für den Raum über der Tischfläche. Die beiden Eltern sind komplett still miteinander, wenn ihr auffälliger Sohn aufs Klo geht, um ihn nach der Rückkehr sogleich vereint und mit guter Absicht bei lautem Lachen zur Ruhe zu mahnen.
Ein Mann, dick, nicht mehr ganz jung. Eine schwarze Digitaluhr am linken Handgelenk. Große dicke Gläser vor den Augen. Umständlich erzählt er der Bedienung lange Geschichten jedesmal, wenn sie ein Bier bringt und darauf wartet, dass sie wieder weiter kann. Zwischendurch guckt der Mann still durch seine Brille vor sich auf den Tisch, an die Wand, auf den Tisch. Beim Zahlen erscheint in seinem Portemonnaie ein Zettel, dort wo Andere Familienfotos haben: Kariertes Papier, mit Kuli steht groß die Zahl 0,22 darauf geschrieben, sonst nichts.
Mir gegenüber die Frau, die laut telefoniert und später verschmitzt wissen will, ob ich auch wirklich nicht gelauscht habe. Ich lüge: nein, sie droht mir lächelnd und glaubt mir kein Wort. Später wird sie erzählen, dass sie Tabletten nimmt und sich am Abend umbringen will. Die Rede wird von der letzten Freiheit sein, die man ihr nicht nehmen könne. Wir werden uns darauf einigen, dass sie vorher doch noch eine vorletzte Freiheit nutzen solle – die könne ihr ja auch niemand nehmen. Sie wird sagen: ok, und dass sie am Abend zunächst versuchen werde, jemanden anzurufen, der sie mag. Vielleicht ihre Tochter.
In Fußgängerzonen #01
Die Frau mit der Gitarre und dem bongoklopfenden Kind: Ich entdecke erst gar nicht, wo der bucklige Rhythmus herkommt und da: Der Penner quert die Straße, stellt seinen Sack ab, quert zurück und stellt eine Flasche Wasser anstelle von Geld neben den Teller der beiden; wie er nickt, sich umdreht, wie er dreimal niesen muß und ihm der Schnodder von der Nase lang herunter hängt.
Die beiden Mädchen, die mehrmals täglich vor dem Eiscafé her laufen und bei jedem der vielen Blicke ins Innere kichern müssen, weil ihnen der italienische Kellner letzten Sommer mal beinahe schöne Augen gemacht hat.
Die Frau, die mir entgegen kommt, 3 Meter noch, sie sieht mich an und ich sehe sie an und als mein Blick den ihren trifft und ihr Lächeln trifft das meine, legt sie den Kopf leicht schief, so dass die Sonne ihre Augen blinzeln macht und justament genau in diesem Augenblick knickt sie auf dem Pflaster um mit ihrem linken Fuß, verzieht das gerade noch so offen mir entgegenblickende Gesicht zu einer sehr grotesken Fratze, die Haare fallen strähnig in die Stirn, „Aua!« sagt sie und sieht dabei schon leicht an mit vorüber und ist auch schon an mir vorbei.
Der Mann, der vor dem Eiscafé aussieht wie bestellt und nicht abgeholt oder wie aus einem Parallel-Universum hier erschienen, der hineinstarrt zur Bestell-Theke; aber dann sehe ich eine Frau allein zwei Eistüten kaufen, das wird wohl seine sein, die zweite Tüte, und die Frau kommt zurück auf die Straße, denkt wohl: Der ist schon weitergegangen und marschiert ab und er muß hinter ihr her und er sieht nicht freundlich aus dabei, aber warum denn, sie hat ihm doch Erdbeereis gekauft.
Gemeinsam nicht alleinsam
Er begann, die Bilder aus den Kunstbüchern zu begreifen, und langsam ahnte er, dass er nicht allein war.
Ferdinand von Schirach, Schuld
Piper 2010
Du:
»Es gibt das allem innewohnende Versprechen,
dass alles immer wieder wieder wird.
Dass überhaupt nichts Schlimmes jemals exisitert.«