Flackerflacker

Ein Mann im Bordrestaurant mit gleich zwei Laptops. Er bastelt an einem PowerPoint-Vortrag auf dem Toshiba, unmittelbar danach holt er ein MacBook heraus, um dort ebenfalls in PowerPoint zu arbeiten.
Sein UMTS-Stick zeigt nervös rotes Flackerlicht: ich bin aktiv, du bist aktiv, wir sind aktiv. Sonst würde der User es ja gar nicht glauben können. So aber kann er sicher sein. Eine Sicherheit, der auch die Aufkleber auf Windows-Laptops zuzuarbeiten scheinen: In dieser Kiste ist was drin.

Wiedergefundene Ausstellungs-Besprechung für den Professor

Lieber Fritz.

Die Ausstellung „ZeichnungSehen“ ist eine sehr schöne, sehr kleine und sehr unspektakuläre Ausstellung. Das Wallraff-Richartz-Museum stellte Material aus der eigenen graphischen Sammlung zusammen und zeigt in didaktisch klarer Art all die verschiedenen Aspekte von Zeichnung. Ich habe Dir auch ein Ausstellungs-Heftchen besorgt, obwohl Du eventuell nicht mal was Neues drin finden wirst. Andererseits: Selbst emeritierte Professoren wissen nicht alles und verschusseln ja sehr wahrscheinlich auch wieder die Hälfte. Viel Spaß also damit. Wenn Du in Köln sein solltest: Es lohnt.Jedenfalls war es eine gute Lehrstunde, in dieser Ausstellung herum zu stöbern und mal ein paar Zeichnungs-Weisheiten festzustellen:

Zunächst, mein lieber Herr Gesangsverein, eine Frage: Liege ich so falsch, wenn  ich einige frühe Figuren Deiner Hand zu so manchem Blatt von Tiepolo aber auch Raffael gesellen will? Sowohl die Linien als auch das Laviergebrumme laufen doch recht ähnlich locker. Wie uns die Alten sungen …

Bei einer Skizze zum „Dejeuner“ sieht man: Der Cezanne konnte es mit Bleistift schon gleich gar nicht. Gut, daß man ihm dann doch noch Farbe und Leinwand gab.

Wie ich’s von all den Guten und Gerechten kenne: Paul Werner rutscht im Studienbuch beim sitzenden Frauenakt harmlos scheints von der rechten auf die linke Seite. Aber nur mit eineinhalb Zehen, quasi bloß dem großen Onkel. Mensch, wird ihn das geärgert haben, denn hier wäre Kraft und Deutlichkeit besser gewesen. Also: Richtig drüber, Paul, oder bleiben lassen! Setzen!

Beim Munch möcht man schrei‘n vor lauter Unheimlichkeit, die er einem Grafen von Schwerin 1894 schon ins Fresslein kohlt, teils wischt.

Pieter Jansz Quast zittert sich am „Kopf eines Mannes“ erst am zucchinihaften Kinn entlang und wiederholt das Rötel-Tattern dann am Mützlein – einzig um eine Figur zu schaffen, die den Festus Haggen aus „Rauchende Colts“ um mehr als 300 Jahre vorwegnimmt.

Die „Vier neapolitanischen Sänger“ von Johann König sollten allesamt mal schnell zum Zahnarzt. Obwohl sie exakt so verdrießlich katzenjammern als kämen sie grad vom Babier – und er hat es sicher nicht gut mit ihnen gemeint, den armen Kartoffelköpfen.

Aber der Menzel! Mein Lieber!

Hurra „Blücher“! Hurra „Handstudie mit Buch“!

Hans Holtzmayr. Von dem man nur zu wissen scheint, daß er 1591 – 1602 in Deutschland tätig war. Aber seine Anbetung der Könige: Hübsch flotte Linien, schnell und dabei wesentlich bleibend. Leicht gehöht die Lichter, die ein wie besoffen hingezackelter Stern von oben links deckweißtechnisch ins Bild zwackelt. Hinten ein Kamel mit einem Kamelhals als Gottesbeweis für die Existenz des Monsters von Loch Ness. Und überkleben tut er auch noch, der Hans.

Mein Lieblingstitel: Susanna und die beiden Alten. Vom Henscheid könnt’s stammen, meint aber ein Blatt aus dem 17. Jhd., dessen unbekannt bleiben wollender Autor allen Grund dazu hat: Weiß er doch scheint‘s nicht, daß man zur späteren Übertragung hingehuschte Quadrierungen besser im rechten Winkel und mit gleichmäßigen Seitenlängen macht. Na, die Nacharbeit möcht ich sehn …

Leibl. Schattiert bis nix mehr da ist. In den Skizzen zu einer „Tischgesellschaft“. Aber wenn er’s dann malt, als Entwurf in Öl – ja sackzement! – aus der Ferne: Wie ein falschrum aufgehängtes, unbunt-spätes Turner-Gewuschel. Und beim Hinsehn dann: Aufs Feinste erscheinen und verschwinden hier Gesichter und Figuren zwischen Malgrund und der sanften Farbe. A lady vanishes in Öl auf Leinwand. Jedoch: Ein Cello scheint auch ihm höchst proble­matisch nur erfassbar.

Eine Apostelgruppe aus Italien wurde schon im 17 Jhd. erst gezeichnet und dann schleunigst wieder durchgekreuzt. Wohl getan! Denn hier tat man den Aposteln wahrlich keine Ehre: Die Bärte wachsen ineinander, ein Kopf entsteht im Haarbusch des Kollegen und eine Hand gar schwirrt sehr UFOesk übers barock matt bräunliche Papier.

Und auch die Kollwitzkäthe schmeißt was weg. Negierts mit langen dünnen Strichen. Bravo.

Ja, so viel Spaß kann mir eine Ausstellung machen. Nimms also als Anregung, wenn Du mal in der Gegend bist.

Liebe Grüße

Amrum am nächsten Tag

Wieder Hitler getroffen. Auf der Straße geht er vor mir her. Ohne Handschuh, ohne Mützlein. Die neue dicke Jacke an nur einem Knopf dürftig geschlossen, einen hellen Rollkragenpullover drunter, stapft er vor mir durch den Schnee. Der Scheitel fliegt im Wind und auch das Preisschild seines Jackstücks.

Die Insel ist klein. Ich treffe Hitler täglich. Gestern stand er im Buchladen. Mitten im Raum. Mitten im Gang. In sich versunken, mit hängendem Köpflein, mit leicht zur Seite abgespreizten Armen an einen Pinguin gemahnend. Zwischen den Regalen »Nordfriesische Geschichte« und »Bestseller« stand er und ich hätte gern gewußt, was er dort dachte.

Amrum am Abend

Der erste, der mir hier auf Amrum im Hotel nach einer Viertelstunde schon begegnet, ist Adolf Hitler. Obwohl am Rand des großen Speisesaals noch allerhand Tische frei sind, sitzt er – etwas eingefallen, graues Sakko, graue Hose, unpassend braune Schuh dazu – am einzigen Tisch mitten im Raum. Den Kopf tief über den Teller gebeugt mit hängenden Schultern isst er Suppe, schlürft ein gut Teil in seinen wie’s scheint schmaler jetzt gewordenen Schnurbart. Eben hat seine Mama angerufen, sich bei der Wirtin zu erkundigen, ob er gut angekommen sei. Die Wirtin hat ihm ausgerichtet, daß seine Mama nicht mit ihm habe sprechen wollen, sich aber gesorgt habe, ob es ihrem Sohn wohl gut gehe. »Es war eine katastrophale Fahrt …« hat er verschmitzt gelächelt.
Ich habe Hitler später zugenickt, wie er allein im braunen Trenchcoat – unentschlossen, ob er noch mal zurück ins Restaurant gehen oder lieber im Dunkeln eine Runde am Strand drehen solle – draußen vor der Tür im dunklen Schnee stand.

Früher

Früher gab es Zeiten, Beckmann, wo die Zeitungsleser abends in Kapstadt unter ihren grünen Lampenschirmen tief aufseufzten, wenn sie lasen, daß in Alaska zwei Mädchen im Eis erfroren waren. Früher war es doch so, daß sie in Hamburg nicht einschlafen konnten, weil man in Boston ein Kind entführt hatte. Früher konnte es wohl vorkommen, daß sie in San Franzisko trauerten, wenn bei Paris ein Ballonfahrer abgestürzt war.

Wolfgang Borchert, Draußen vor der Tür,
Rowohlt 1990, Seite 38

Rätsel

Aber Rätsel gibt es nicht. Es gibt nur Verrätselungen – entweder künstliche, wenn wir etwas so beschreiben oder zeichnen, dass jemand anderes ins Grübeln gerät, oder reflexhafte, wenn unsere Routinen oder Theorien so sehr mit der Wirklichkeit kollidieren, dass wir das nicht ignorieren können: Wenn wir dann nicht in diesem Umstand das Problem erkennen, sondern es in die Welt projizieren, schaut sie rätselhaft zurück.

Jan Philipp Reemtsma, Vertrauen und Gewalt,
Pantheon 2009

Mit scharf?

Der Mann in der Dönerbude unterhält sich gern. Am liebsten in den Wartezeiten, wenn das Brot röstet oder irgendetwas noch heiß werden muß. Dann stehen wir beide da, gucken uns an und die Zeit vergeht. Meist fängt er dann an zu sprechen.

– Und? Sind Sie verheiratet?
– Nee.
– Aber ich sag Ihnen: Die richtige kommt noch. Das versprech’ ich Ihnen.

Gut, wenn sich jemand um einen kümmert.

Möglichkeiten 02

Ok. Zehn Jahre wird der Alte wohl noch leben. Und wenn wir davon ausgehen, dass er die letzten fünf als sabbernder Waschlappen im Rollstuhl verbringen wird, geht er mir also nur noch geschätzte fünf mickrige Jährchen mit seiner lauen, nöligen, sich stets beschwerenden Stimme auf die Nerven. Fünf Jahre. Das sitz ich doch auf einer Arschbacke ab und dann ist Ruhe.