Er kann einfach nicht begreifen, warum sich Ma und Pa immer und immer wieder mit solch großer Leidenschaft dafür interessieren, was die liebe Verwandtschaft so treibt. Wer mit wem und warum und wer krank und wer gestorben ist. Haarklein können sie das besprechen und durchkauen, wieder und wieder, unermüdlich. Wenns nach ihm ginge, konnte die ganze Bagage jetzt und sofort und komplett die Kurze kratzen und ihrem beschissenen Schöpfer gegenübertreten.
Große Romane IX
Mel will eigentlich nicht, dass man ihn Ismael nennt – aber die Leute lassen ihm überhaupt keine Wal.
Don’t loose your head!
Ich glaube, wenn ich überhaupt an irgendetwas glaube, wenn man in Betracht zieht, dass man an nichts mehr glauben kann, an den ruhigen Kopf.
Thomas Bernhard
Briefwechsel mit Siegfried Unseld
Seite 100
Was Kunst nicht ist
In der aktuellen SPEX zitiert Joseph Kosuth im Interview den amerikanischen Maler Ad Reinhardt:
„Man kann nicht sagen, was Kunst ist, man kann nur sagen, was Kunst nicht ist.“
Auf Wikipedia steht’s noch etwas umfassender: mit einem differenzierten Versuch einer Annäherung über das Nicht-Kunst-sein:
„Das eine, was sich über Kunst sagen läßt, ist, daß sie eines ist. Kunst ist Kunst-als-Kunst, und alles andere ist alles andere. Kunst-als-Kunst ist nichts als Kunst. Kunst ist nicht, was nicht Kunst ist. Der eine Gegenstand von fünfzig Jahren abstrakter Kunst, ist Kunst-als Kunst vorzustellen, und als nichts anderes, aus ihr nur das eine zu machen, das sie ist, indem man sie mehr und mehr absondert und definiert, sie reiner und leerer macht, absoluter und ausschließlicher – nicht-gegenständlich, nicht-darstellend, nicht-figurativ, nicht-imagistisch, nicht-expressionistisch, nicht-subjektiv. Der einzige und eine Weg, zu sagen, was abstrakte Kunst ist, liegt darin zu sagen, was sie nicht ist.“
(Ad Reinhard: zitiert nach Ulrich Reißer/Norbert Wolf: Kunstepochen. Band 12: 20. Jahrhundert II. Reclam, Stuttgart 2003; S. 75f.)
http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Kosuth
http://de.wikipedia.org/wiki/Ad_Reinhardt
Fresse I/III
Mangelerscheinung
Ohnehin weiß ja heute schon fast jeder, daß alle Kreativität aus einer Verwunderung stammt, einem Mangel, einer Sehnsucht nach Vervollständigung.
Georg Stefan Troller,
Lettre International 82
Fresse
Liste der neulich Getroffenen
Frau B. (2x)
Frau D. (ständig)
1 Cellomädchen
2 Violinenmädchen
1 Klaviertechniker auf Zelluloid
183 (ca.) DDR-Fanatiker
1 Halbprominenter mit Bildrechte-Problemen
1/2 Spanien
1 sehr alte Ägypterin
2 nette Menschen aus M.
1 Frau, die mit einem umklappenden Regenschirm kämpfte
01 – Nennt mich Banal
Ich weiß: Das klingt jetzt gleich wie so ’ne absolute Standardsituation. Kennt jeder, tausendmal gehört, blablabla. Aber was soll ich tun – so hat’s eben angefangen. Klar, schon Mist wenn’s so langweilig losgeht, aber sind nicht alle Anfänge irgendwie Standard? Immer muss irgend ein Scheiß herhalten, damit’s losgehn kann, total egal, was … ob da erstmal irgendein Ilsebill nachsalzt, oder wir zu Beginn erfahren, dass alle glücklichen Familien einander ähnlich sind, oder irgend ein vollkommen unbekannter Typ im ersten Satz aber schon mal gleich Ismael genannt werden will … Also, nennt mich meinetwegen Banal oder was – aber so fing’s halt an: Ich komme in die Kneipe so wie immer, ist schon was später, es ist warm und der ganze Tag war ruhig und wartete irgendwie nur so auf den Abend. Ich komm alleine, wie oft damals, kein Problem, irgendjemand werde ich schon treffen. Ich steh ein wenig rum, trinke ein zwei Bier und niemand spricht mich an, ein paar Hallos im Vorbeigehen, wie geht’s, und selbst, und dann registriere ich dich draußen auf der Treppe. Deinen Rücken seh ich, deine Korkenzieherhaare, und dein Anblick ist irgendwie ungewohnt, neu, hab dich noch nie gesehen, aber das ist nicht das, was mich aufmerksam werden lässt. Sondern: Ich kann durch die offene Tür zuhören, wie du deinen Freunden irgendwas erzählst, egal, aber du klingst tief und lebendig und leicht kratzig, irgendwie der Hammer. Du erzählst völlig blöd rumlachend von den Studenten, mit denen du dich ein ganzes Wochenende rumgetrieben hast und deine Pointe ist: einer der angehenden Philosophen hat ein Schaf nachgemacht, sagst du, und dann machst du nach wie der das nachgemacht hat. Und als wär das nicht schon affig genug, so ne blöde Pointe – du erzählst das, als passiere es grade in diesem Moment noch einmal und vielleicht tut es das für dich auch und du bist amüsiert und in Flammen und hast dein Herz verloren, und das lässt du deine Leute wissen. Das ist nun wirklich ’ne banale Geschichte denk’ ich und in dem Moment orderst du ein neues Bier und drehst dich um und ich kann erkennen, wie schön du bist und wie hell deine Augen leuchten. Meine Fresse!
Wir kriegen euch alle 01
Er sah wie ein Türsteher aus. Einer aus dem Rockermilieu, ein schwerer großer Junge. Sonnenbrille, Armykäppchen, feste muskulöse Unterarme, auf denen BöhseOnkelz tätowiert stand. Auf beiden, links und rechts. Seine kleine Tochter schob er auf einem Dreirad vor sich her, sie trug Zöpfe und ein hellokitty-Shirt.