Guten Geburtstag, Gustav!

Herzlichen Glückwunsch zum 150.

Nicht nur warst Du einer der bedeutendsten Komponisten im Morgengrauen der Moderne. Nein, darüberhinaus auch noch einer der ganz ganz ganz berühmten Dirigenten Deiner Zeit. Und: Operndirektor. Oooperndirektooooor! Hammer!

Gedankt sei Dir vor allem für Deine 5. – und daraus wiederum besonders für den 4. Satz Adagietto. Was sonst hätte Visconti als Musik für seinen „Tod in Venedig“ suchen und finden sollen? Als hättest Du’s gewußt, Du Schlitzohr.

Danke.

Rilke rät

»Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen.«

Rainer Maria Rilke: Brief an einen jungen Dichter
z. Zt. Worpswede bei Bremen, am 16. Juli 1903

Da, das Meer!

Da, das Meer! Hiphiphurra!
Lange Fahrt. Jetzt sind wir da.
Bunte Fahnen. Menschen. Glück.
Nur gradaus. Kein Blick zurück.

Weiße Möwen. Kühler Sand.
Warme Steine. Langer Strand.
Buntes Handtuch. Tasche schwer.
Wind in Haaren. Kopf wird leer.

Wasser trinken. Sonnencrem.
Warmer Rücken. Schön bequem.
Leichte Küsse. Zungenschlag.
Sonnenbrille. Was ein Tag!

Strahleaugen. Himmel leer.
Blaue Tiefe. Wellen quer.
Meine Füsse! Deine auch:
Rote Flecken! Sand am Bauch.

Sand in Zähnen. Ach herrjeh!
Brand auf Füßen. Auaweh!
Kalte Cola. Fritten. Ja!
Weiche Birne. Wumbaba!

Quallenleiche. Jahre alt.
Fuß im Wasser. Brrr, wie kalt!
Muscheln sammeln. Buntes Glück.
Seetang glitzert. Jetzt zurück.

Tschüßchen, Wasser. Good bye, Meer.
Ciao, bleib sauber! Abschied schwer.
Ab zum Auto. Cheerio!
Neben Dir: Ich bin so froh.

Nana

Wie ich in die Corinth-Ausstellung gehe, beinahe mitgenommen werde gottseidank und durch die weite Halle springt eine Frau aus dem Bilderrahmen heraus in diesem wundersam klaren Licht und sie leuchtet mich an und sie kommt mir entgegen, eine Diagonale auf der Leinwand und ihre nackten Brüste sind Deine Brüste und du heißt Nana und bist 1911 gemalt.

Klavierkonzert das 1., purer Zufall

»Weißt du, Andrea, als dein Bruder Francesco klein war, hatte er große Angst vor dem Einsatz der Pauken in Brahms’ erstem Klavierkonzert. Eines Tages suchte er eines von seinen Walt-Disney-Videos und schob aus Versehen eine Kassette in der Rekorder, auf der kein Zeichentrickfilm war. Es war eine Aufzeichnung des Brahms-Konzertes. Am Dirigentenpult Leonard Bernstein, am Klavier Krystian Zimerman, ein ausgezeichneter und schon sehr berühmter junger polnischer Pianist. Es spielten die Wiener Philharmoniker.

Ich weiß noch, daß ich im Nebenzimmer war, als im Fernseher plötzlich die Pauken ertönten. Mir war klar, daß dein Bruder die Kassetten verwechselt hatte. Ich stand auf, um nachzusehen, ob er sich erschreckt hatte und ich vielleicht eine andere Kassette für ihn einlegen sollte, zumal der Fernseher sehr laut eingestellt war. Doch als ich zu Francesco kam, wirkte er nicht ängstlich wie sonst, sondern schaute sich fasziniert das Konzert an. Fasziniert von den Bewegungen des Orchesters, besonders der Geiger. Und wenig später auch fasziniert vom Einsatz des Klaviers, der in scharfem Kontrast zum Beginn des Konzerts steht.«

Roberto Cotroneo: Frag mich, wer die Beatles sind,
Insel Verlag 2006

Aristoteles aber sagt:

»wenn nun der wahrnimmt, der sieht, daß er sieht, und hört, daß er hört, und als Gehender wahrnimmt, daß er geht, und wenn es bei allem anderen ebenso eine Wahrnehmung davon gibt, daß wir tätig sind, so daß wir also wahrnehmen, daß wir wahrnehmen, und denken, daß wir denken: und daß wir wahrnehmen und denken, ist uns ein Zeichen, daß wir sind (…)«.


Aristoteles:
Nikomachische Ethik IX 9, 1170a28ff. (Übers. O. Gigon)

Die letzten Wochen waren anstrengend

Eine Liste all der Dinge, die wir in den letzten Wochen tun mußten:


Zunächst

  • bis zum Ende kämpfen
  • zur Ecke klären
  • es aus der Distanz versuchen
  • eine schnelle Antwort wollen

Dann noch

  • für mehr Durchschlagskraft sorgen
  • zu Fehlpässen zwingen
  • Vorteil laufen lassen
  • den Freistoß kriegen

Wahlweise

  • die Gegner unter Druck setzen
  • die Gegner zu Fehlern zwingen
  • die Gegner erfolgreich stellen

Zwischendurch immer wieder mal

  • den Karton sehen

Später dann

  • die Verantwortung übernehmen
  • uns die Schmerzen rauslaufen
  • das Defensivbollwerk zusammenhalten
  • gleich auf die Ecke gehen

Auf keinen Fall aber

  • auf der letzten Rille der eigenen Bereifung unterwegs sein
  • uns selten vorne einschalten
  • nicht den sichersten Eindruck machen
  • den Ball unter uns begraben

Sondern eher schon

  • fast Powerplay spielen
  • jeden Passversuch abblocken
  • es laufen lassen
  • es verdient gehabt haben

Sowie sowieso

  • die 10 früh attackieren
  • Sicherheit ausstrahlen
  • den Gegner kommen lassen
  • das Tempo nicht rausnehmen

Auch daran mußten wir noch denken

  • uns neu sammeln
  • nicht das 1:2 hinnehmen
  • die Konzentration hochhalten
  • alle nassmachen

Und schließlich

  • immer wieder dort sein, wo wir uns sowieso wähnten

Wie gesagt: Die letzten Wochen waren anstrengend. Und es ist noch immer nicht zuende.

Alle Siege sind traurig


SZ:
Für den großen Skeptiker E.M. Cioran gibt es drei Formen der europäischen Traurigkeit, die portugiesische, die russische und die ungarische. Welcher Form der Traurigkeit fühlen Sie sich am stärksten verbunden?

Kraznahorkai: Der dänischen, falls es sie gibt, denn mir sind alle Formen der Traurigkeit sehr sympathisch. In der Traurigkeit erscheinen die Dinge in einer schmerzhaften Schönheit. Zwischen allen Formen der Schönheit steht mir die in der Traurigkeit auftauchende Schönheit am nächsten. Es ist schwierig zu sagen warum. Die in der Freude erscheinende Schönheit hängt für mich sehr eng mit dem Sieg und mit dem Gewinner zusammen, und ich kann weder mit dem Sieg noch mit dem Gewinner etwas anfangen. Ich verstehe den Sieg eigentlich nicht. Die Schönheit des Lächelns des Gewinners sagt mir nichts. Alle Siege sind traurig.


Der ungarische Schriftsteller László Kraznahorkai im Gespräch mit Klaus Dermutz
Süddeutsche Zeitung Nr. 149 vom 2. Juli 2010