Proust! Lesen!Ein Lektüreseminar
Schiffe treiben im Kanal
Nordkolleg liegt leidlich brach
Garten trauert Sommer nach
Herbstlich unbunt und banal
Luft schmeckt beinah schon nach Schnee
Himmel droht mit grauer Pest
Einsam wird das Lesefest
Wochenende in Combray
Maulwurf hügelt sich ein Grab
Beete kümmern karg und grau
Gärtner spielt im Herbst Mau-Mau
Tapfer mühen wir uns ab
Wind kommt auf und blättert um
Will am Volltext uns erfreu’n
Exegese in S9
Vieles schlau und manches dumm
Großes Ganzes schwer zu sehn
Leserhythmus aus der Spur
Ist der Autor auch Figur?
Will noch wer eine Madeleine?
Proust schrieb voller Lebensmüh
Viel zu lang und viel zu gut
Schilf ist schlaff und Obstbaum ruht
Langsam geht der Geist perdu
Weicher Keks reicht nicht mehr weit
Chorgesang treibt mit dem Wind
Seitenweise Labyrinth
Suche bleibt verlor’ne Zeit
Buche liegt im Gerhardshain
Zeit ist alles, Zeit ist nichts
Müd’ des Litraturgerichts
stellen wir das Lesen ein
Licht gelöscht im Bernsteinhaus
Rasch entkorken wir den Roten
Proustsche Tiefen auszuloten
Trinken wir zwölf Flaschen aus
Dieselknatter tönt vom Hafen
Himmel wird von Kiel her hell
Letztes Glas noch auf Marcel
Früher ging ich früher schlafen
U
Mein Präsident!
Er hat den schönsten Zauselbart,
ist innen weich und außen zart.
Sein Duft ist frisch wie Schäfchenwiese,
sein Atem sanft wie Frühlingsbrise.
Es ist mit allen heil’gen Wassern
gewaschen der Rohani Hassan.
Der Turban-King von Teheran
gilt vielen schon als Neuer Mann.
Er ist in Ajatollahland
als Sanftmut in Person bekannt.
Und jeder Jude kriegt den Blues,
schickt Hassan ihm den Neujahrsgruß.
Als Kind schon wollte er nie balgen,
schnitt Schwesters Barbie ab vom Galgen.
Und schläferte nur unter Weinen
den Nachbarshund ein, mit zwölf Steinen.
Wenn Damen ihn im Raume wähnen,
dann schießen ihnen Freudentränen.
Er kann den längsten Zungenkuss
und steht für Omas auf im Bus.
Er amnestiert die ärgsten Krittel,
und trägt Iranens schönste Kittel.
Verbraucht privat nur Ökostrom
und hasst persönlich das Atom.
Wie wär’s – hier wird doch grad verhandelt
und sowieso das Land verwandelt –
vielleicht, dass man ihn tauschen kann,
den zuckersüßen Muselmann?
Das fänd ich gar nicht so verkehrt.
Der wär mir glatt den Hoeneß wert,
oder die Hannelore Kraft.
Es wär viel Gutes auch geschafft,
wenn man im Tausch die CSU
weggäben tät. Dann wäre Ruh.
Mit Hassan würde Deutschland zart,
statt Gottes- Heinzelmännchenstaat.
Ein Anderer
Der Gott der Carnivoren
Gott steht an im Metzgerladen,
reibt sich lächelnd seine Hände,
inspiziert die Wurstbestände,
schaut auf Metzgerfrauen-Waden.
Soll er heute Blutwurst wählen,
Schnitzel und ein Viertel Zunge?
Oder von der sauren Lunge?
Wird er Kalorien zählen?
Schwein derweil im Metzgerwagen
hat so gänzlich andre Sorgen.
Ruckelt durch den frühen Morgen,
tut sich letzte Fragen fragen.
Metzgerfrau sagt: »Das kann dauern,
wenn sie wieder Schweineschwarten
wollen.« Gott spricht: »Ich kann warten.«
und er lächelt sans Bedauern.
Er hat Zeit und Schwein hat keine.
Gott, ganz lässig, freut sich schon.
Koteletts sind ihm Gotteslohn,
schön sind Metzgerinnenbeine.
Nichts muss schnell gehn oder flott.
Er scheint ganz Geduld zu sein.
Weiß er doch, ein jedes Schwein
findet seinen Weg zu Gott.
Stunden später oder so,
tritt er pfeifend auf die Straße,
schwer bepackt. In hohem Maße
lächelt Gott sehr fleischesfroh.
Taschen voll mit Schinkenwurst,
Schweineschnitzel und Tartar,
sieht er vorn in Rudi’s Bar
Mädchen, die ihm winken. Durst!
Town of the Walking Dead
Genesis
Liegt ein Staub auf allen Dingen,
grünt ein Schmier allüberall.
Hör nur: Silberfischchen singen
schöner als die Nachtigall.
Altpapier wächst allerorten,
auf dem Spül liegt Ewger Schnee,
Krümel, Haare aller Sorten,
Spinneweb im Separée.
Wäscheberge stellen Fragen,
Scheiben starren matt und grau.
Zum Putzen, Wienern, Wohlbehagen
fehlt mir jeder Überbau.
Geb viel lieber mich den Lastern
hin, naiv und unverstellt.
Phlegma und auch Sehnsucht pflastern
meine Wege in die Welt.
Und so bleibt mir meine Erdung
auch in Chaos und Verfall:
Weiß doch, vor der Menschenwerdung
kommt der Haushalt-Sündenfall.
Am Ende des Tunnels
Für ein hier nicht anwesendes Bild
Vom Auto-Spanner
Auto-Spanner blickt am Morgen,
um es recht sich zu besorgen,
schon hinunter auf die Wägen
tut die Formen sich einprägen.
Jede Rundung, alles Steile,
jede Fläche, alles Geile
dieser Blechmobilparaden
tut Erregung ihm aufladen.
Doch es macht der Herr Voyeur
einen Fehler folgenschwer:
Belebt von seinen Fantasien
tut er nicht den Vorhang ziehen.
Nun weiß also alle Welt,
was dem Spanner gut gefällt.
Und am nächsten Morgen schon
tut sie ihre Reaktion:
Wo sonst unter Parkscheinbarken
alle ihre Autos parken,
bleibt es öd und leer. Ein Schmerzen
tut dem Spanner weh im Herzen.
Denn er weiß: Jetzt muss er fliehen.
Tut zwei Straßen weiter ziehen.