Manifest aus Lyrien

Die Zeit wird knapp. Die Tyrannei
erzwingt jetzt unsren Hilfeschrei:
Dies ist die Manifestation
der lyrischen Opposition.

Wir stellen uns den Diktatoren
der schlappen Verse. Auf die Ohren
bekommen Grünbein es und Grass.
Weil sie nicht still sind, setzt es was.

Mit Stanze, Haiku und Metapher
geht’s aufrecht gegen die Erschaffer
von schwiemeligem Sprachenmuff:
Reim-Pumpgun hoch – und piff-paff-puff!

Doch sind wir arg unter Beschuss.
Wenn niemand hilft, ist hier bald Schluss.
Reimlexika für frische Lyrik
sind fast verbraucht. Schon reimt sich’s schwyrik.

Wir rufen Dich, Du freie Welt:
Schickt uns nicht Waffen, schickt nicht Geld!
Wir brauchen kein UN-Mandat,
Wir brauchen Lyrik-Destillat!

Sendet uns Jamben und Trochäen,
wir müssen Schüttelreime säen.
Schickt von den Limericks die schnellen –
das hilft uns lyrischen Rebellen.

Auch fehlt’s im Waffenarsenal
an Distichon und Madrigal.
Wir reimen schon auf kleiner Flamme
und brauchen Aufruhr-Epigramme.

Selbst Klapphornvers und Minnesang
eignen sich gut zum Waffengang.
Im Häuserkampf hilft die Ballade
und die Sonette-Kanonade.

So werfen wir gegen das Böse
uns reimend in das Kampfgetöse
und nehmen auf uns die Martyrien.
Wir kämpfen für ein freies Lyrien.

Dem Kater frühmorgens die Liebe deutend

(aus gegebenem Anlass in der korrekten Fassung)

Schau mich nicht an mit diesem Blick! Grade ihr Katzen
solltet doch wissen, wie es ist, sich zu verlieben,
wie man beim Wein sitzt nachts, bis morgens früh um sieben,
wie man verquere Dinge lallt in tief verguckte Fratzen.

Grade ihr Katzen solltet wissen, wie das ist:
Auf warmen Dachterassen schwerst verliebt zu sitzen.
Und dass das geht: beim kleinsten Fastberühren schwitzen,
weil man es als Beweis nimmt für: Es ist das, was es ist.

Wer, wenn nicht ihr, ihr Löwen, Jaguare, Tiger,
weiß, wie das ist: Im Gegenüber zu versinken
mit Krallen und mit Zähnen – wie in junge Finken.
Schön sanft sein und trotzdem ein Krieger.

Du putzt den Bart und tust, als ob du gar nichts willst:
Der Nacht-Genießer schweigt, liegt da mit einem Schnurren.
Das tu ich auch jetzt – gern und ohne Murren
geh ich ins Bett und bin mucksmäuschenstillst.

Prost zur Geisterstunde

Es ist im Wirtshaus »Heilger Geist«
die Stube voll, kein Stuhl verwaist.
Ganz schön was los! Es brennt die Luft!
Wer hier nicht mittrinkt, ist ein Schuft.

Deshalb ist Judas auch nicht da.
Nach 50 Tagen, das war klar,
trifft sich zum feuchten Totenfest
ein Elferschock Apostelrest.

Es ist schon spät. Die zwölfte Runde
zischt Petrus weg. Jetzt ist die Stunde,
dass er sich aufrafft stante pede
volltrunken zur Gedächtnis-Rede:

»Schon siebn Wochn isses her.
Erst war er tot – Ihr wißt schon wer –
dann wieder nich. Wir … hicks! … warn traurich …
Ganz unter uns: Ich fand das schaurich.

Doch trotzdem: Nach … hicks! … Väter Sitte
versaufen wir sein Fell. Und bitte:
wir wolln, nachdem wir … hicks! … gedenken,
der Leber keine Gnade schenken!«

Er hebt sein Glas. »Prost! Auf den … Chif!
Äääh … Chaf! Momentchen … Chof? Chuf? Chif!«
Peinliche Pause. Alle gucken.
Er erntet zehnfach Schulterzucken.

Wen meint er? Sie verstehn ihn nicht.
Plötzlich ein Sturm, es blitzt ein Licht.
Ein jeder sieht sich ängstlich an
und Geist schießt ein in alle Mann.

Volltreffer Petrus: Der steht stramm
und brüllt »Heiliger Bim und Bam!«
Dann, grade wie aus dem eff-eff,
sagt nüchtern er: »Prost auf den Chef!«

Der Chef! Na klar! Der ganze Saal
flippt aus wie einst beim Abendmahl.
Man küsst sich, lacht, es wird geweint:
Der Petrus hat den Chef gemeint!

»Chef!« kreischen alle durcheinander
und Petrus ruft ins Miteinander:
»Vergesst nicht: Was Ihr dem Geringsten …
Ach, Scheiss drauf – jetzt ist erstmal Pfingsten!«

Roots

Großmutter war vor allem berühmt für eine Eigenschaft: Sonntag für Sonntag konnte sie die komplette dreissigköpfige Verwandtschaft in einer viel zu kleinen Drei-Zimmer-Wohnung exakt so verteilen, dass wir wirkten wie die komplette dreissigköpfige Verwandtschaft in einer viel zu kleinen Drei-Zimmer-Wohnung.

Mucho!

(ein zweiter Versuch, mit zusätzlicher Variante)

»Bésame!« klangs von der Gondel.
»Bésame!« sang der Tenor.
»Bésame!« sang dann auch ich.
Doch Freund T. ist jetzt davor:

»Bésame!« will er nicht singen.
»Bésame!« will er nicht hörn.
»Bésame!« darf ich nicht summen.
Der Schlagermist würd’ ihn nur störn.

»Bésame!« Romantikmüll!
»Bésame!« Das ist doch Scheiß!!
»Bésame!« Jetzt hör halt auf!!!
Auf der Stirn steht kalter Schweiß.

»Bésa…!« Unter Folter nicht!!
Tät’s nicht singen, wenn ich müsst!!!
Tja, wenn er partout nicht will –
bleibt er eben ungeküsst.