Aus Kapitel 03

Der Junge war sechs und hinter ihm schien die Sonne. Die Sonne schien so hell, dass alle Lichter und alle hellen Stellen um ihn herum überbelichtet waren und weiß. Der Junge war sechs und die Sonne schien wie in einem überbelichteten Film, die Kamera direkt gegen das Licht, aber hier was das anders: Der Junge war sechs und die Sonne stand hinter ihm und war heiß und der Junge war sechs und schaute nicht direkt gegen das Licht, er schaute mit dem Licht, und vor ihm das Helle war weiß und das Dunkle war schwarz.

Links der Balkon vom Erdgeschoß, rechts der Hügel und die Wiese und dazwischen der Junge war sechs und stand auf den kleinen quadratischen Steinen, die vor ihm einen Weg markierten in anderen Abständen als denen seiner Schritte und um ihn herum überbelichtete die Sonne die Welt.

Der Junge war sechs und sein Schatten fiel vor ihm auf den Boden das Gras und die Steine, und der Schatten war schwarz wie der Schatten der Grashalme wie der Schatten der flachen Steinplatten auf denen er stand und der Junge war sechs und er wollte so sein wie sein Bruder, sonst war es nicht mehr auszuhalten. Der Junge war sechs und jetzt und hier war die Zeit, etwas zu tun und er würde die Sache nun selbst in die Hand nehmen.

Der Junge war sechs und er stand in der überbelichteten Welt und vor ihm lagen alle Schatten und hinter ihm brannte die Sonne in seinen Nacken und es war heiß und hell und der Schweiß rann aus seinen Haaren seinen Hals herab und seine Brust wurde feucht und sein T-Shirt färbte sich dunkel. Und der Junge war sechs und er war allein zwischen Wiese und Balkon und er ging und er ging und jetzt begann er die Sache selbst in die Hand zu nehmen und zum ersten Mal betrachtete er aufmerksam seine Hand, die einen dunklen Schatten auf das Gras legte, er betrachtete seine Finger und zum ersten Mal nahm er einen Finger in den Mund und er nagte an seinem Finger, an seinem Fingernagel, er nagte und biß und in der überbelichteten Welt riß der Junge war sechs einen Nagel vom Finger und der Schmerz kam wie ein Blitz zusammen mit der Überraschung: wie leicht das geht und von jetzt an würde alles anders und nichts mehr so dunkel und schlimm und alles so hell und so gut wann immer er will.

Da ist diese Frau

Da ist diese Frau, mit der ich rumbändel.
Wir fahren gemeinsam bald in die Provence.
Im Frühsommer. Denn dann blüht dort der Lavendel.
Und wir blühn dann auch. Ach, was für eine Chance!

Da ist diese Frau, die macht mich betrunken.
Sie lacht mir und zwinkert mir zu als Avance.
Wenn wir uns berühren, dann schlagen die Funken.
Berührn wir uns also! Scheiß auf Contenance!

Da ist diese Frau, in die ich verliebt bin.
Ganz locker und leicht und mit viel Nonchalance.
Und weil ich bei ihr ja genauso beliebt bin,
ist dieses Verliebtsein mir wie Renaissance

von allem, was gut ist und schön und auch wahr,
in fast jeder Hinsicht, fast jeder Nuance.
So bleibt mir nur eins noch zu sagen, und zwar:
Da ist diese Frau – und ich schreib mich in Trance.

Wenn je. Dann.

Wenn je mir Leben Gutes präsentierte;
Wenn Sehnsucht je mich stark gemacht;
Wenn ich was Schönes je gedacht;
Wenn jemals ich ins Licht spazierte;

Wenn mir je schwindlig war vor Pracht;
Wenn jemals Amor mich umschwirrte;
Wenn flatternd er mich je verwirrte;
Wenn überhaupt ich mich mit Macht

je fragte: Bist Du glücklich heute? Sag!
Dann wohl im Jetzt und auch im Hier.
Dann sicher heut an diesem Tag,

ganz fest und glücklich klar mit mir
und – das ist sicher, ohne Frag,
wie’s Amen in der Kirche – Dir.

Die Nachtigall. Nicht die Lerche!

Tunnel schwitzt uns aus den Alpen
Endlich raus aus Weh und Krach
Rotzt uns in das weite Tal
Fels steigt hoch und Wein wächst flach

Kinderberge vor Verona
Rund und niedrig, ziemlich mau
Mittendrin hält unser Zug
Bahnhof leer und Magen flau.

Alles voller junger Leute
Pfadfindergebrumm-Exzess
Werd des Wahnsinns fette Beute:
Hier fährt Orient-Express

Oh Verona oh Verona
Shakespeare-Märchen mit Balkon
Tourischleuder ohnegleichen
Norditaliens Lampignon

Oh Arena oh Arena
Mittendrin statt nur dabei
Arschloch dieser kleinen Stadt
Filmkulisse, einwandfrei

Wenn ich’s könnte

Ach Liebste, an dir wär soviel noch zu loben.
Dich gänzlich zu fassen find ich nicht den Kniff.
Von hinten bis vorne, von unten bis oben –
mir bleiben nur Worte, mir fehlt der Begriff.

Zum Beispiel: Die Drehung, wenn du deine Mähne
zurückwirfst und lächelst, und dann da dein Mund
der breit ist und schmal und voll zuckriger Zähne
und drinnen die Zunge, die samten ist, und

dann hier deine Arme, die klar mich umschlingen:
So gleichzeitig drängend und sanft ist Dein Griff.
Ach Liebste, könnt ich das nur halbwegs besingen –
denn wie ich’s auch schreibe: Stets fehlt da der Pfiff.

So ist mir, will ich dich bedichten, oft bange.
Ich komme an deinen Leib sprachlich nicht ran.
Zum Beispiel: dein Haar dort, das kurze und lange
das dunkle und leichte. Der Flaum auch, der dann

als Strich wie ein Urwald, als Strichlein wie Lunten,
und gegen den Strich als ein wiesiger Teppich,
sich fortschreibt am Körper von oben bis unten …
… Schau! Wieder nur Worte, die flackerhaft bunten!
Doch schrieb ich sie nicht – was wäre ein Depp ich.