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Für ein hier nicht anwesendes Bild

Vom Auto-Spanner

Auto-Spanner blickt am Morgen,
um es recht sich zu besorgen,
schon hinunter auf die Wägen
tut die Formen sich einprägen.

Jede Rundung, alles Steile,
jede Fläche, alles Geile
dieser Blechmobilparaden
tut Erregung ihm aufladen.

Doch es macht der Herr Voyeur
einen Fehler folgenschwer:
Belebt von seinen Fantasien
tut er nicht den Vorhang ziehen.

Nun weiß also alle Welt,
was dem Spanner gut gefällt.
Und am nächsten Morgen schon
tut sie ihre Reaktion:

Wo sonst unter Parkscheinbarken
alle ihre Autos parken,
bleibt es öd und leer. Ein Schmerzen
tut dem Spanner weh im Herzen.

Denn er weiß: Jetzt muss er fliehen.
Tut zwei Straßen weiter ziehen.

(das zugehörige Bild gibt’s hier)

Betreff:Ihre unverlangteManuskript-Einsendungvom 17.10.1833

Sehr geehrter Georg B.,
Sie schickten uns Ihr Exposé.
Also, was Sie da so schreiben –
lassen Sie es lieber bleiben!

Alles Mist! Vor allem jener
Kinderkram Leonce und Lena.
Pipi, Popo – bitte schön!
Wer will so etwas denn sehn?

Ein Witz, und keiner von den besten,
ist das Ding mit den Palästen.
Krieg und Frieden? Also echt:
Plagiat, und dann noch schlecht.

Hammerharte Vollblamage
ist jedoch die Textcollage
Woyzeck. Der, mit seinem Stammeln,
will doch bloß Mariechen rammeln.

Schon im allerersten Akt
ist der doch total beknackt,
voll der Grusel-Brutalinski.
Das ist höchstens was für Kinski!

Und dann das – Schockschwerenot!
Dieses Ding von Dantons Tod
und das Stückchen da vom Lenz:
schlicht Autoren-Impotenz!

Nein, das alles ist ein Graus.
Spannen Sie mal tüchtig aus.
Sicher ist: Für diesen Scheiß
gibt es nie den Büchnerpreis.

Sie sollten sich den Geist erfrischen.
Machen Sie doch was mit Fischen!

Leichten Schritts

Dass ich dich verlassen hab
Dass du mich verlassen hast
Kühlt an Sommertagen fast
Wie ein schattig stilles Grab

Dass ich einfach weiterleb
Dass du einfach weiterlebst
Ist der Dinggang, denn Du strebst
Nach Glück, an dem auch ich so kleb

Ich tu deutlich, was ich kann
Du tust alles noch dazu
Dass wir leicht sind, dann und wann

Wir gehn weiter, ich und Du
Tapfer lächelnd frisch voran
Leichten Schritts mit Blut im Schuh

Zum Mitsingen

(z.B. am 4. und 5. Oktober hier)

Ich war in Venedig:
Diese Stadt ist voll am Arsch.
Wunderschön und doch morbid und knapp vorm Untergang
klingt sie wie ein Trauermarsch.

Schlimmer noch ist Menden:
öd und leer und provinziell.
Was mich hält, ist nicht die Stadt, es sind die Menschen hier –
und vor allem Du speziell.

Wenn Du jemals gehst,
wenn Du jemals gehst,
wenn Du jemals gehst,
gehen hier die Lichter aus.

Innenstadt aus Pappe,
trostlos alles drumherum.
Todesatem schleicht durch Gassen, schließt Cafés. Und echt:
Was man hört und sieht, ist dumm.

Weiter hier zu leben
geht nur, wenn man nicht vergisst,
was im Zentrum steht, und wenn man sich erinnert,
was das Wichtigste hier ist.

Wenn Du jemals gehst,
wenn Du jemals gehst,
wenn Du jemals gehst:
Klappe zu und Affe tot.

(wunderbares Zwischenspiel von Hannes)

Wenn Du jemals gehst,
wenn Du jemals gehst,
wenn Du jemals gehst,
dann leg’ ich mich gehackt
in dieser toten Stadt.

(Musik von Billy Bragg)

Für ein hier nicht anwesendes Bild

In Giesing wächst das Gold an Wänden.
Sommers trägt man es auf Händen
heimwärts hin zu Frau und Kind,
wo die Goldreserven sind.

Ist dann einmal schlechtes Wetter,
wächst das Gold sogar noch fetter:
Regen, heißt die alte Regel,
dreifacht gleich den Goldstand-Pegel.

Friedlich sind in Giesing alle
schon um acht Uhr in der Falle.
Auto und Container nur
zeugen von der Menschen Spur.

Die hingegen sind im Schlummer,
hegen keinen großen Kummer,
haben das, was jeder wollt:
dickes, fettes Giesing-Gold.

(Das zugehörige Bild gibt’s hier.)

Klasse! Super! Toll! Und herrlich!

Klasse! Geht doch! Alles tutti!
Wo ist’s schöner als zuhaus?
Weiter wohnen wir bei Mutti,
bleiben hier mit Mann und Maus!

Super! Sie kocht deutsche Küche,
reichlich, fettig, heiß und gut!
Bügelt unsre Widerspüche,
dass die Welt uns bös nicht tut.

Toll! Sie wird mit ihrem Glanze
auch im nächsten Jahrgeviert
sorgen, dass das große Ganze
uns nicht weiter intressiert.

Herrlich! Diese beiden Sachen
sind, was uns Europa neidet:
ihr fast absolutes Lachen,
und dass hier das WIR entscheidet.

Jemand, der es gut mit mir meint

Ich schreib mir selber anonyme Briefe.
Stets Liebesbriefe. Zart und sanft wie Seide.
Das ist, weil unter Einsamkeit ich leide
und ohne solche Briefe schlechter schliefe.

Wenn ich sie öffne, geht mein Atem schneller.
Mein Herzschlag rast. Es ist fast wie Musik,
wenn ich das lese, was an Post ich krieg.
Der Tag ist wunderbar mir dann und heller.

Ja, kann schon sein, dass ich mich selbst damit betrüge.
Gut möglich, dass ich nur auf Tränendrüsen drück!
Vielleicht, dass es im großen Ganzen doch die Züge

verwirrter Eigenliebe hat – ein kleines Stück?!
Denn manchmal merk ich nicht, wie ich mich selbst belüge.
Dann schreib ich mir, wie von mir selbst entflammt, zurück.

All inclusive

Zwölfmal wurde ich gestochen,
dreimal hab ich mich erbrochen.
Musste direkt nach dem Fliegen
tagelang im Wundbett liegen.

Hab fünf Sehnen mir entzündet,
einen Herzinfarkt begründet,
links den Knöchel mir verstaucht,
dreizehn Beutel Blut gebraucht.

In mir hat der Wurm schmarotzt,
hab mich völlig leergekotzt,
stank zerreißend wie ein Puma:
Rache von Herrn Montezuma.

Trotzdem – ginge es nach mir,
ich wär noch nicht wieder hier.
Das war klasse, keine Frage!
All inclusive, 14 Tage,

in Spitälern, Hospitalen,
ohne etwas zu bezahlen.
Schöner kann es gar nicht sein.
Danke, Auslandskrankenschein!

Vorletzte Umfrage

Mache ich mein Kreuzchen?
Soll ich mich enthalten?
Wähle ich was Neues?
Lass ich es beim Alten?

Schaff ichs an die Urne?
Reicht mein Wählerwille?
Wähle ich die Trulla?
Wähle ich die Brille?

Geh ich lieber trinken?
Bin ich Mehrheitsbringer?
Wähle ich das Dreieck?
Wähle ich den Finger?

Mach ich alles richtig
mit der zweiten Stimme?
Wähle ich das Gute?
Wähle ich das Schlimme?

Wähle ich den Doofmann?
Wähle ich die Schnalle?
Oder da den Schnurbart?
Oder doch gleich alle?

Guck ich dann im Fernseh
später bunte Kreise?
Hör ich die Gespräche?
Ja, hab ich denn ne Meise?!

Bleibe schön zuhause!
Trainiere an Expandern!
Koch mir warmes Süppchen!
Oder geh gar wandern!

Faust bleibt in der Tasche!
Wählen solln die andern!

Wort und Tat

Wer braucht bitte Thomas Mann,
wenn man Freude haben kann
an mir und meinem Leberfleck?
Schatz, jetzt leg das Buch doch weg!

Lass den Schiller mal in Ruh.
Klapp jetzt mal den Walser zu.
Langsam wird mir das zu dumm –
lieg doch da nicht lesend rum!

Was ist schon ein Brecht-Sonett
gegen mich in Deinem Bett?
Schau, mein schönes schlankes Bein –
komm, jetzt lass das Lesen sein!

Leg mal bitte Shakespeares Sturm
auf den Tisch zu Tellkamps Turm,
und ich zeig Dir mein Bijou.
Liebling, hör mir doch mal zu!

Erst vergnügen wir uns hier,
danach rauchen, dann ein Bier –
Schatzilein, so glaub mir doch:
Lesen kannst du später noch.