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In Restaurationen #03
Ich verstehe die drei Leute am Nebentisch nicht. Sie sprechen ein Gebrabbel, einen Code, einen sprachlich dermaßenen Brei, dem ich einfach nicht vertraut bin. Das sind doch keine Sätze, diese Worte. Unterbrochen von Kieksern und Pausen und allgemeinem Rhabarbern schlendern sie wohl von einer Unverbindlichkeit zur nächsten: das Wetter, der Ballack, das Essen, … soviel kann ich noch herausfiltern. Betont leise wird herumgemurmelt, die Lautstärke reicht aus für den Raum über der Tischfläche. Die beiden Eltern sind komplett still miteinander, wenn ihr auffälliger Sohn aufs Klo geht, um ihn nach der Rückkehr sogleich vereint und mit guter Absicht bei lautem Lachen zur Ruhe zu mahnen.
Ein Mann, dick, nicht mehr ganz jung. Eine schwarze Digitaluhr am linken Handgelenk. Große dicke Gläser vor den Augen. Umständlich erzählt er der Bedienung lange Geschichten jedesmal, wenn sie ein Bier bringt und darauf wartet, dass sie wieder weiter kann. Zwischendurch guckt der Mann still durch seine Brille vor sich auf den Tisch, an die Wand, auf den Tisch. Beim Zahlen erscheint in seinem Portemonnaie ein Zettel, dort wo Andere Familienfotos haben: Kariertes Papier, mit Kuli steht groß die Zahl 0,22 darauf geschrieben, sonst nichts.
Mir gegenüber die Frau, die laut telefoniert und später verschmitzt wissen will, ob ich auch wirklich nicht gelauscht habe. Ich lüge: nein, sie droht mir lächelnd und glaubt mir kein Wort. Später wird sie erzählen, dass sie Tabletten nimmt und sich am Abend umbringen will. Die Rede wird von der letzten Freiheit sein, die man ihr nicht nehmen könne. Wir werden uns darauf einigen, dass sie vorher doch noch eine vorletzte Freiheit nutzen solle – die könne ihr ja auch niemand nehmen. Sie wird sagen: ok, und dass sie am Abend zunächst versuchen werde, jemanden anzurufen, der sie mag. Vielleicht ihre Tochter.
In Restaurationen #02
Ich sage dazu nichts mehr, sagte die Frau, bevor sie in der nächsten Viertelstunde soviel dazu sagte, dass wir alle erfuhren, wie angekotzt sie ist von der alten Dame, die dauernd vom Sterben redet, aber immer noch regelmäßig bei der Nachbarin die Wohnung putzt und die unverschämterweise sehr komplizierte Gerichte für Ihren Hund kocht, stell dir vor, erst erschreckt sie alle mit haarsträubenden Geschichten ihrer Krankheit und dem bevorstehenden Tod und dann kommt die doch alle 2 Wochen in den Salon und lässt sich die Haare machen.
Einer quasselt die vor ihm am Tisch sitzende Frau unaufhaltsam voll, selbstgefälliges Salbadern, meine Prüfung, meine Noten, meine Mutter, mein Dies und mein Das, um nach unendlichen Minuten unvermittelt aufzustehen und mit einem letzten Wort das Café zu verlassen.
Ein Mann liest in der „Touren fahren“. Vorhin hat er mit einer vertrauten Person telefoniert, sehr ruhig und ernst. Er komme soeben aus dem Krankenhaus, es gebe ein schmales Zeitfenster, es komme nun darauf an, er sei froh den früheren Zug reserviert zu haben. Wenn er da sei, in etwa zweieinhalb Stunden, benötige er ungefähr eine Dreiviertelstunde, um die Situation und die Aussagen der Fachleute zu erläutern. Dann ist es an uns, eine Entscheidung zu treffen.
In Restaurationen #01
Der Mann, der seinen triefenden Regenschirm mitten im Café ausschüttelt, ist wenig später so undistanziert, sich derart als Dritter an den Zweiertisch neben mich zu setzen, dass wir nun beide nass sind.
Neben mir haben zwei was zu besprechen. Einer mit Manschetten, einer ohne. Der mit Manschetten fordert erstens, zweitens, drittens. Er guckt am Gegenüber vorbei aus dem Fenster. Viertens. Der ohne Manschetten ist geknickt. Er sucht den Blick des anderen und denkt sich eine abzulehnende Alternative nach der anderen aus.
Vertreter. Ihr Leben ist Labern, ihre Welt ist der Wirtshaustisch. Zwei rheinische Arschriesen, die in Kneipenradiolautstärke den Gastraum beschallen: Austern, Weinstöcke, die Stare fallen ein, die Tochter vom verstorbenen Bürgermeister, Renate war mit dem Kleinen im Oktober allein dort, die Esel sind alle tot, ja gut, klar, alles schließt aneinander an, alles gebiert sich aus dem Vorhergesagten, alles ist gleich: gleich laut, gleich unverbunden, gleich langweilig.
Ein amerikanischer Mann erklärt seiner Frau die Speisekarte. Er hat keine Ahnung, was die Worte bedeuten, die er vorliest. Er zuckt mit den Achseln. Mit der Zeit werden Mann und Frau zornig. Sie verstehen nicht. Die Kragen werden enger. Die Luft wird heiß.
Kurz bevor die beiden dem Café den Krieg erklären, mit dem gesamten Arsenal des Verfügbaren, werden sie von der Kellnerin beruhigt, die eine Speisekarte in englischer Sprache bringt. Jetzt aber! Von nun an wird viel gelacht. Die Zivilisation ist ein Café.